100 Jahre Fachgebiet Papierfabrikation

Die Beweggründe des V.D.P., einen Lehrstuhl in Darmstadt einzurichten, lagen in der Person des Geheimen Baurats Prof. Adolf PFARR, der damals bereits dem Lehrstuhl für Wasserkraftmaschinen an der TH Darmstadt vorstand. Pfarr studierte am Königlichen Polytechnikum in Stuttgart zwischen 1870 und 1873 Maschinenbau. Sein beruflicher Werdegang begann bei einem Hersteller von Holzbearbeitungsmaschinen, der Firma Gebr. Schmaltz in Offenbach a. M., von wo aus er bereits nach einem Jahr zur Deutschen Wasserwerksgesellschaft nach Frankfurt a. M. wechselte. 1875 trat er schließlich in die Dienste der Firma J.M. Voith ein. Voith war damals eine kleine Firma, deren Besitzer und Chef, Friedrich Voith, ebenfalls am Polytechnikum Stuttgarter studiert hatte und 1875 etwa 100 Mitarbeiter beschäftigte. Pfarr stürzte sich zunächst auf die Weiterentwicklung der Francisturbine und wurde zu einem kongenialen Mitarbeiter von Friedrich Voith, der ihn anlässlich eines Jubiläums 1892 als „geistreichen Konstrukteur“ bezeichnete. Pfarr entwickelte während seiner Voith-Zeit eine rege Reisetätigkeit zur Diskussion neuer Projekte, Umbauten und Inbetriebnahmen sowie von Kundenreklamationen. Er wirkte aber auch als Konstrukteur, machte zahlreiche Verbesserungsvorschläge und projektierte ganze Fabriken [10].

1897 erhielt er einen Ruf als Ordinarius und Vorstand des Lehrstuhls für Wasserkraft-maschinen an die TH Darmstadt. In den Jahren 1900 – 1902 war er Dekan der Abteilung Maschinenbau und im Studienjahr 1902/03 Rektor der Technischen Hochschule Darmstadt. Seine Verbundenheit zur Papiermacherei und sein Erfahrungsschatz aus seiner Tätigkeit bei Voith veranlassten ihn, bereits ab 1900 Vorlesungen über Maschinen der Papierfabrikation anzubieten. Die akademische Ausbildung in der Fachrichtung Papieringenieurwesen begann im Jahr 1905, nachdem auf Initiative des V.D.P. im Einvernehmen mit der Technischen Hochschule Darmstadt beschlossen wurde, „Hochschulkurse zur Ausbildung von Fabrikleitern und Papiertechnikern“ einzurichten. 1905 erfolgte die Ernennung zum ersten Institutsvorstand des Lehrstuhls für Papieringenieurwesen. Begann man 1905 die Spezialisierung zum Papieringenieur mit nur drei Studenten, so wurden 1912 bereits 53 Studierende gezählt, was den Bedarf an ingenieurwissenschaftlich geschultem Nachwuchs deutlich machte. Prof. Pfarr war es noch vergönnt, 1912 die Versuchspapiermaschine am Institut für Papierfabrikation in Betrieb zu nehmen, bevor er an seinem Geburtstag, am 11. Dezember 1912, im Alter von nur 61 Jahren unerwartet und viel zu früh verstarb.

Abb. 1: IfP-Versuchspapiermaschine vor 1930
Abb. 1: IfP-Versuchspapiermaschine vor 1930

„Die Technik verlangt heute neben der unvermeidlichen „Theorie“ in erster Linie „Tatsachen“, und wohl kein Mittel eignet sich besser dazu, solche Tatsachen vor Augen zu führen, als eine gut eingerichtete Versuchsanstalt“[11]. Dem Zeitgeist entsprechend, hat man seit Gründung des Fachgebiets versucht, Technikumsmaschinen zu installieren, mit denen industrielle Prozesse simuliert werden konnten. Man war darauf bedacht, den Vorgang der Papierfabrikation in allen seinen Stufen verfolgen und veranschaulichen zu können. Daher war man auch auf die Spende einer Versuchspapiermaschine der Maschinenfabrik Banning & Seybold aus Düren im Rheinland sehr Stolz, die 1912 an der TH Darmstadt installiert werden konnte (Abb. 1). Sie bestand aus einer Langsiebpartie mit Staulattenstoffauflauf und einer Siebbreite von 750 mm, einer Gautsch-, einer Liege- und einer Steigfilzpresse sowie sechs Trockenzylindern mit 500 mm Durchmesser, 5-Walzen-Trockenglättwerk und Aufrollung. Der Papiermaschinenantrieb erfolgte über einen 25 PS-Motor mittels Längstransmission und Reibradantrieb für die Pressen und einen variablen 12 PS-Antrieb mit Regulieranlasser und Regulieraggregat. Die Papiermaschine musste damals in beengten räumlichen Verhältnissen als Maschinenbaulaboratorium VII, angrenzend an das Wasserbaulaboratorium, untergebracht werden. „Die Versuchsmöglichkeiten an der eigentlichen Papiermaschine lassen außerordentlich viele Varianten zu. In erster Linie lege ich Wert darauf, solche Versuche zu machen, welche Einblicke in die Wirkungsweise der einzelnen Teile der Papiermaschine gewähren, ferner Aufschluß geben über Kraftverbrauch und Dampfverbrauch, und zwar bei den verschiedensten Papiersorten in bezug auf Rohmaterial und in bezug auf den Charakter der Mahlung von ganz „röschen“ bis zu ganz „schmierigen“ Stoffen, mit und ohne Beschwermittel, geleimt und ungeleimt usw..“[11] Noch vorliegende Papiermusterbücher aus den Nachkriegsjahren geben Aufschluss über die vielfältigen Möglichkeiten, unterschiedliche Papiersorten zwischen 25 und 300 g/m² Flächenmasse auf dieser Maschine herzustellen. Neben dieser Langsieb-Versuchspapiermaschine verfügte das Technikum damals über ein Zerfaserungssystem nach dem Patent Wurster, einen Holländer nach Patent Baeßler, einen Voith-Holländer und eine Kegelstoffmühle. Üblicherweise wurde das Praktikum im Wintersemester an drei auseinanderfolgenden Tagen angeboten, an denen die „kleine Papierfabrik“ für praktische Versuche in Betrieb genommen wurde [11] Dass dieses Praktikum mehrfach angeboten werden musste, versteht sich von selbst, wenn man realisiert, dass im Wintersemester 1913 insgesamt 63 Studierende das Papiermaschinenpraktikum absolvierten.

Bestandteil der Ausbildung der Studierenden der Fachrichtung Papieringenieurwesen – damals wie heute – sind auch Fachexkursionen des jeweiligen Lehrstuhlinhabers mit Mitarbeitern und Studenten in Betriebe der Zellstoff- und Papierindustrie. Seit Jahrzehnten besucht das Fachgebiet im regelmäßigen Wechsel hierzu Produktionsstätten im In- und Ausland. Bereits 1907 berichtet Prof. Pfarr [12] über eine vom Lehrstuhl für die Fakultät Maschinenbau organisierte 13-tägige Exkursion nach Süddeutschland, an der 35 Personen teilnahmen. Besucht wurden sieben Papierfabriken, vier Wasserkraftwerke und jeweils ein Sägewerk, eine Maschinenfabrik, eine Karbidfabrik und die Lokomotivfabrik Maffei. Aus dem Verhältnis der Anzahl von Papierfabriken zu Wasserkraftwerken kann man schon erahnen, dass Prof. Pfarr zu diesem Zeitpunkt der Papierherstellung mehr zugetan war als den Wasserkraftmaschinen, obwohl er diesem Lehrstuhl immer noch vorstand. Vielleicht sind die Papierfabriken aber auch nur deshalb in der Überzahl, weil sie bereits damals gegenüber Darmstädter Studentengruppen sehr großzügig aufgetreten sind, was die Studenten auch heutzutage zu schätzen wissen. Interessant an der zitierten Reisebeschreibung ist die Tatsache, dass 1907 für die Rückfahrt mit dem Zug von München nach Darmstadt sieben Stunden angegeben werden, eine Fahrzeit, die heutzutage auch mit dem ICE nur um ca. ein Drittel (4,5 h) kürzer ausfällt. Die Produktivität der Papierherstellung konnte in den letzten 100 Jahren offensichtlich wesentlich stärker gesteigert werden als die Effektivität des Transportsystems Eisenbahn.

Zeitgleich mit der Gründung der Fachrichtung Papieringenieurwesen richtete der V.D.P. 1905 auch die Hessische Prüfstelle für Papier ein, die mit Prof. Dipl.-Ing. Ludwig von ROESSLER besetzt wurde. Prof. von Roeßler lehrte in Darmstadt seit 1904 Mechanische Technologie und Maschinenzeichnen und musste sich in das fremde Fachgebiet der Papierprüfung einarbeiten. Bis 1931 brachte Prof. von Roeßler den Studierenden des Papieringenieurwesens in Vorlesungen und Übungen die apparative Papierprüftechnik nahe [13]. Sie bestand damals aus mikroskopischen Untersuchungen an Halbstoffen und Papier, Analyse von Füllstoffen sowie der Prüfung von Papier auf Flächenmasse, Dicke, Reißfestigkeit, Dehnbarkeit, Falzzahl, Leimungsgrad, Saughöhe, Fettdichtigkeit, Dichtheit für Gase und Wasserdampf, Transparenz und anderes mehr.

[10] Schweikert, H.: Georg Adolf Pfarr – Wegbereiter der Wasserkraftnutzung und Papierfabrikation. Zulassungsarbeit Sommersemester 1998, Historisches Institut – Abteilung für Geschichte der Naturwissenschaften und Technik (Prof. Hermann), Universität Stuttgart, 1998

[11] Müller, F.: Das Institut für Papierfabrikation an der Großherzoglich Technischen Hochschule in Darmstadt. WfP, 45(1914), Nr. 25, S. 2267-2276

[12] Pfarr, A.: Die Pfingstexkursion der Maschinenbau-Abteilung an der Grossherzogl. Techn. Hochschule zu Darmstadt. WfP, 38(1907), Nr. 25, S. 1988-1993

[13] Brecht, W.: 50 Jahre Papieringenieurwesen an der Technischen Hochschule Darmstadt. Jubiläumsschrift des Instituts für Papierfabrikation, Darmstadt, 1955, S. 5-22